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Wider dem Fachkräftemangel

Wider dem Fachkräftemangel

Dem KfW-ifo-Fachkräftebarometer Juni 2021 zufolge meldeten 24,1 % der kleinen und mittelständischen Unternehmen, dass Fachkräftemangel deren Geschäftstätigkeit behindere. Bei den großen Unternehmen waren es 22,9 %. Umfragen im Mittelstand zeigen, dass die Gewinnung von bedarfsgerecht qualifizierten Fachkräften mittlerweile zu den größten Herausforderungen für mittelständische Unternehmen zählt. Schon bis 2040 erwartet Destatis einen Rückgang der Erwerbspersonen zwischen 1 und 6 Millionen. Ohne Veränderung wird dieser Fachkräftemangel die deutsche Wirtschaft beeinträchtigen.

Drei Hebel nennt die KfW, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken: 1. Qualifizierte Zuwanderung, 2. höhere Erwerbsbeteiligung, 3. bedarfsgerechte Qualifizierung und lebenslange Weiterbildung. So die Theorie. Doch wie sieht die Praxis aus?

Qualifizierte Zuwanderung

Im Jahr 2019 wanderten 31.220 Nicht-EU-Ausländer mithilfe der Blauen Karte der EU nach Deutschland ein, so das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Einem Szenario des Statistischen Bundesamts zufolge ist selbst bei einer jährlichen Zuwanderung aus dem Ausland von 311.000 Menschen von einem massiven Rückgang der Fachkräfte auszugehen. Wir erinnern uns: Bis 2040 wird ein Rückgang zwischen 1 und 6 Millionen Erwerbspersonen erwartet.

Laut einer OECD-Studie ist Deutschland allerdings nur mäßig für ausländische Fachkräfte attraktiv. Untersucht wurden 35 westliche Industrieländer in den Bereichen Qualität der beruflichen Chancen, Einkommen und Steuern, Zukunftsaussichten, Möglichkeiten für Familienmitglieder, Kompetenzumfeld, Diversität und Lebensqualität, Einreise- und Aufenthaltsbedingungen. Hier belegte Deutschland lediglich Platz 12. Grund für die schlechte Bewertung waren schlechte Nettolöhne, schlechte berufliche Perspektiven, Bürokratie bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und Mitzuwanderung der Familie. Da diese Punkte auch für deutsche Arbeitnehmer bittere Realität sind, wird sich in absehbarer Zeit kaum etwas an dieser Situation ändern.

Höhere Erwerbsbeteiligung

Eine Anhebung der Regelaltersgrenze für gesetzliche Renten soll das Fachkräfteangebot sichern. Bereits heute „dürfen“ Arbeitnehmer bis zu ihrem 67. Lebensjahr arbeiten. Der Sachverständigenrat schlug nun vor, die Regelaltersgrenze flexibel an die Entwicklung der Lebenserwartung anzupassen (derzeit 78,6 Jahre bei den Männern; 83,4 Jahre bei Frauen). Von einer Heraufsetzung würden alle profitieren. Arbeitnehmer würden eine höhere Rente beziehen. Der Bundesregierung zufolge wären dies derzeit 6 % für jedes Jahr ohne Altersbezug. Einer Anfrage des Bundestagsabgeordneten der Linken Dietmar Bartsch zufolge arbeiteten zum Stichtag 30. September 2020 mehr als 1,039 Millionen Arbeitnehmer über 65 Jahre. Zirka 600.000 Menschen waren über 70 Jahre alt, 220.00 Menschen sogar mindestens 75 Jahre. Von ihnen waren 208.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Rund 831.000 Ruheständler im Rentenalter waren geringfügig beschäftigt, ca. 19.000 hatten einen Nebenjob. Dazu kommen 411.000 Selbstständige über 65 Jahre (Stand: 2017). Interessante Zahlen, die bei näherer Betrachtung in einem anderen Licht erscheinen.

Thema Altersarmut: Die Politik nimmt die Zahlen der Arbeitenden über 65 Jahre gern als Argument für die Heraufsetzung des Rentenalters. Sie würden gern länger arbeiten, um Selbsterfüllung zu finden, und wären fitter als vorangegangene Generationen. Viele der Berufstätigen über 65 Jahre arbeiten in einem Büro, als Putzkraft, Fahrer, in der Gebäudetechnik, Lagerwirtschaft und der Zustellung. Berufe, die zum größten Teil eher körperlich erschöpfen als erfüllen.

Demgegenüber stehen die Daten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Rund neun Millionen Senioren bezogen monatlich 1.192 Euro monatlich Rente, 15 Millionen Seniorinnen erhielten lediglich 803 Euro monatlich und gelten damit als arm (Einkommen < 1.074 Euro/Monat). Es kann also davon ausgegangen werden, dass Berufstätige über 65 Jahre eher aus finanzieller Not arbeiten.

Bedarfsgerechte Qualifizierung und lebenslange Weiterbildung

Der KfW spricht hier nicht von allgemeiner Weiterbildung, sondern legt den Schwerpunkt auf Weiterbildungen im Bereich der Digitalisierung, dem Gesundheits- und Pflegesektor und der Energie- und Verkehrswende. Laut dem Statischen Bundesamt wurden 2018 von jedem zweiten Unternehmen Weiterbildungen in den Bereichen Kundenorientierung (50 %) und technische, praktische oder arbeitsplatzspezifische Fertigkeiten (52 %) zu den wichtigsten Qualifikationen für die künftige Unternehmensentwicklung gezählt. Gleich darauf folgen Teamfähigkeit (43 %), Problemlösungskompetenz (30 %) und allgemeine IT-Kenntnisse (35 %). Fast zwei Drittel der Unternehmen (64 %) bildeten in technischen, praktischen und arbeitsplatzspezifischen Fertigkeiten weiter. Die Kundenorientierung war mit 27 % Gegenstand der Schulungen, allgemeine IT-Kenntnisse mit 20 % und Teamfähigkeit mit 16 %. Im Bereich Krankenpflege wurden 2019 500 Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung angetreten. Ein Trend, der eindeutig am Bedarf vorbeigeht.

Fazit

Zum jetzigen Zeitpunkt (Stand: 09/2021) funktionieren die vorgeschlagenen Hebel also wenig bis gar nicht. Wäre es dann nicht sinnvoller, andere Hebel zu betätigen, die sich schneller und wirkungsvoller umsetzen lassen? Zum Beispiel:

  1.  Steigerung der Attraktivität von Berufen im Gesundheitswesen und Pflege (besseres Gehalt, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf)
  2. Verbesserung der deutschen Unternehmenskultur -> geringere Abwanderung von Fachkräften in andere Unternehmen, Berufe und Selbstständigkeit
  3. unternehmensinterne Weiterbildungen von Geringqualifizierten zu Fachkräften (Geringqualifizierte bilden sich übrigens wesentlich seltener weiter als Fachkräfte.)
  4. höhere Gehälter
  5. Schaffung von Telearbeitsplätzen, um Fachkräfte zu gewinnen, die familienbedingt ortsgebunden sind. Das ist allerdings eine Sache des Vertrauens, das viele deutsche Unternehmen ihren Arbeitnehmern nicht entgegenbringen.

Diese Maßnahmen lassen sich schneller umsetzen, sind günstiger und sichern darüber hinaus Wissen im Unternehmen (interne Weiterbildung von Geringqualifizierten).